Vielleicht....?

Meine großen Worte werden mich nicht vor dem Tod schützen

und meine kleinen Worte werden mich nicht vor dem Tod schützen
überhaupt kein Wort
und auch nicht das Schweigen zwischen den großen und kleinen Worten
wird mich vor dem Tod schützen.

Aber vielleicht - werden einige dieser Worte
und vielleicht - besonders die kleineren
oder auch das Schweigen zwischen den Worten
einige vor dem Tod schützen wenn ich tot bin?
(Erich Fried)

24. Juni 2019

In Sand geschrieben

Dass das Schöne und Berückende,
nur ein Hauch und Schauer sei,
Dass das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase, Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglas
Und viel andre wunderbare Sachen.
Dass sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
 Ach, wir wissen es mit Trauer,
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarren;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd,
Sie gleichen uns Vergänglichen nicht,
Erreichen nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne, Liebenswerte
dem Verderben zugeneigt,
stets nah dem Sterben,
Und das Köstlichste:
die Töne der Musik, die im Entstehen schon enteilen,
schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet's schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende,
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben,
Eines Wolkenspieles Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweg geflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
das uns im Vorübergehen kaum gestreift,
ein Fest bedeuten,
Oder wehtun kann.
Wir lieben, was uns gleich ist und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.

Hermann Hesse